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Wie die Pandemie das Trauern verändert. Die Psychologin Verena Kast erklärt, was das Coronavirus mit uns macht.

Schritt für Schritt einfach durch die Krise kommen und gleichzeitig auf etwas Gutes hoffen – das sei ein Trick, den ältere Menschen oft besser beherrschen als junge, sagt Verena Kast. Die Psychologin und Krisen- und Trauerexpertin erklärt im Interview, wie die Trauer durch Corona erschwert werden kann – und dass wir uns trotzdem zum Positiven verändern können.

Kast: Wenn wir in den Nachrichten mit so vielen Toten zu tun haben, müssen wir uns gefühlsmäßig schützen. Wir können nicht mit der ganzen Welt Empathie haben, sonst könnten wir nicht weiterleben. Aber wenn wir in der Zeitung eine Geschichte über einen Menschen lesen, wie er gestorben ist oder wie die Ehefrau darum gekämpft hat, doch noch Abschied von ihrem Mann nehmen zu können, dann berührt uns das und wir können dadurch achtsamer werden. Auch um zu entscheiden, wie wir selbst mit dem Tod umgehen wollen.

ZEIT ONLINE: Wie begleitet man einen Sterbenden, wenn Besuche kaum möglich sind?

Kast: Wir haben das Bedürfnis, uns zu verabschieden, Ungeklärtes zu besprechen, einander zu halten und zu trösten. Keiner hat Schuld, wenn das gerade nicht geht, auch die Sterbenden wollen ihre Angehörigen nicht anstecken. Aber dieses Virus ist wirklich eine Zumutung. WhatsApp und Zoom ersetzen in keiner Weise die liebe Person, die den Sterbenden hält – aber trotzdem ist das besser als nichts. Wir sollten auf jeden Fall versuchen, den Kontakt zu halten, so gut es über das Telefon oder Video eben geht. Meistens ist am Ende ein Besuch auch möglich – das sollte man dann auch einfordern.

ZEIT ONLINE: Wie geht trauern in dieser Situation?

Kast: Auch das Trauern wird erschwert. Wir brauchen Rituale, wenn uns etwas sehr berührt. Die Bestattung findet meist nur noch rudimentär statt mit wenigen Menschen, die Abstand halten müssen. Dabei kann etwa eine große Trauerfeier dem Einzelnen sehr helfen: Wenn viele teilnehmen, ist das nämlich ein Zeichen: "Einer ist gegangen, aber die anderen sind noch da." Aber auch hier müssen wir das Bestmögliche versuchen: die engsten Familienangehörigen doch in den Arm nehmen, über Zoom und Telefon mit anderen Menschen sprechen – und vielleicht planen, im Sommer eine große Gedenkfeier nachzuholen.

ZEIT ONLINE: In Ihren Büchern beschreiben Sie die verschiedenen Phasen der Trauer. Verschiebt sich da möglicherweise etwas? Die erste Phase ist das "Nicht-wahrhaben-Wollen", danach tauchen oft heftige Gefühle auf.

Kast: Wenn man den Toten nicht mehr ansehen kann, kann es schwer werden, dessen Tod anzuerkennen, vor allem, wenn ein junger Mensch gestorben ist. Bestatter ermöglichen es inzwischen auch in den großen Städten wieder, sich von der Leiche zu verabschieden. Dieses Ritual hilft dem Trauernden, sich klar zu machen, dass der Mensch wirklich nicht mehr da ist. Es fehlt nun wegen der Infektionsgefahr – und ist anders als die Gedenkfeier nicht nachzuholen. Ich kann mir auch vorstellen, dass Schuldgefühle und Wut, Gefühle, die im Trauerprozess typisch sind, verstärkt werden in der aktuellen Situation. Weil manche Menschen keine Masken tragen und damit die Infektionszahlen hochtreiben – oder weil man nicht doch noch für einen Besuch gekämpft hat. Selbsthilfegruppen können vielleicht helfen, um mit anderen Betroffenen festzustellen: Ich habe das für mich Bestmögliche getan. Aber wir müssen auch anerkennen, dass jeder Trauerprozess seine eigenen Schwierigkeiten hat, die nicht immer mit Corona zusammenhängen.

ZEIT ONLINE: Zum Beispiel?

Kast: Wie wir trauern, hängt immer von der besonderen Beziehung ab, die wir mit dem oder der Toten hatten – und davon, wie wir selbst mit dem Gefühl umgehen können, verlassen worden zu sein. Am Ende des Trauerprozesses stehen aber oft positive Fantasien. Was hat der tote Mensch in mir geweckt hat, was habe ich mit ihm erlebt, was war anders als mit anderen Menschen? Ich kann mir zum Beispiel bewusst machen: Der andere hat mich mutig gemacht, das bleibt, das verliere ich nicht. Ich kann mir auch eingestehen, welche Schwierigkeiten ich mit ihm oder ihr hatte.

ZEIT ONLINE: Kann man den Umgang mit dem Tod lernen? Können Menschen, die schon einmal um einen geliebten Menschen getrauert haben, besser damit umgehen?

Kast: Es tut jedes Mal wieder sehr weh. Trauern kann man nicht üben, damit es schneller vergeht. Der Tod ist eine große emotionale Erschütterung, er braucht einen Prozess, bis wir uns an den Verlust gewöhnt haben. Aber wer es schon erlebt hat, hat gelernt, dass er oder sie nach dem Prozess nicht nur weiterlebt, sondern sich verändert hat, möglicherweise sogar etwas gewonnen hat. Das kann helfen in einer neuen Trauer: zu wissen, dass wir auch wieder herausfinden und das Leben gut akzeptieren können.

ZEIT ONLINE: Wird der Umgang mit dem Tod und dem Lockdown nicht nur einzelne Menschen, sondern auch unsere Gesellschaft verändern? Oder werden alle so schnell wie möglich in ihr altes Leben zurückkehren und die Erfahrung bleibt nur wie ein böser Traum?

Kast: Ich denke schon, dass diese Krise unsere Gesellschaft verändern kann. Im Moment sieht es vielleicht nicht so aus. Die meisten Menschen haben dieses Virus einfach satt, sie möchten gute Nachrichten. Selbst die Impfung ist ja bislang nur eine halbgute Nachricht. Viele werden ängstlicher, aggressiver und ungeduldiger. Untersuchungen von der Uni Basel hat gezeigt, dass doppelt so viele der jungen Menschen depressiv geworden sind. Trotzdem: Sie werden aufbrechen.

ZEIT ONLINE: Wie denn?

Kast: Die junge Generation war schon vor dem Auftreten des Coronavirus krisenbewusst. Sie wird nun außerdem eine Krise bestanden haben und einfordern, auch die Klimakrise zu bewältigen. Denn wir können nicht nur wegen Corona, sondern auch wegen der Ökologie nicht mehr alles haben und müssen uns fragen, was wirklich wichtig ist. Natürlich werden nicht alle dieses Bewusstsein entwickeln. Die einen werden die Welt also verändern, weil sie etwa gelernt haben, die anderen, weil sie müssen.

 

 

Ein Interview von: Parvin Sadigh vom 12. Februar 2021 in der Zeit Online (Original hier: https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2021-02/trauer-corona-krise-tod-umgang-gelassenheit-verena-kast?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.com%2F)

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